Ich bin ein Winterkind. Der Januar ist mein Lieblingsmonat. Inmitten dieses Monats kam ich auf die Welt. Ich erinnere mich an so viele Kindergeburtstage, die damit endeten, dass mein Vater und ich gemeinsam meine Gäste nach Hause brachten – alle auf Schlitten sitzend, hintereinander gebunden. So zog mein Vater die Schlittenkette wie ein Muli durch die verschneiten Straßen unserer Heimatstadt Eberswalde. 3 Wochen Winterferien verflogen, wie eine Schneeflocke schmilzt auf meiner warmen Hand. Die Tage waren ausschließlich damit gefüllt rodeln zu gehen oder Schlittschuh zu laufen auf einem der vielen zugefrorenen Barnimer Seen. Unser Lachen hallte durch die Brunnenberge und über die Seen. Nach (viel zu vielen) Stunden kamen wir mit eingefrorenen Füßen und Händen nach Hause und wärmten uns am Ofen. Meine Mutter kochte Kakao (später Grog) und die Frostbäckchen verwandelten sich in Glühbäckchen.
Seitdem ich 2 Jahre alt war, haben meine Eltern ein kleines Wochenendgrundstück. Eine sogenannte Datsche. Sie steht in Finowfurt, direkt an der Würfelgrube, einer alten Tongrube, die später geflutet wurde. Bis heute verbringen sie jede freie Minute an diesem Ort. Dort wuchs ich auf. Im Sommer verbrachte ich die Tage „tobend“ mit meinen Freunden in dem kleinen Grubensee. Im Winter bauten wir riesige Schneemänner auf dem Eis oder ich zog Schlittschuhbahnen auf der von meinem Vater freigefegten Eisrunde. Währenddessen saßen meine Eltern in der Wintersonne, schauten zu und tranken selbstgemachten Glühwein. Und das in Mitteldeutschland, im Brandenburger Land, nordöstlich von Berlin. Mitten in den 80iger Jahren. Schon lange vermisse ich den Schnee in unseren Breitengraden. Es ist kein Geheimnis, dass es in Hamburg noch weniger schneit inzwischen als in Brandenburg.
…so träumte ich schon lange davon hoch in den Norden zu reisen um einen Winter zu erleben, wie ich ihn aus meinen Kindertagen kannte. Ich wollte Landschaften sehen, die vom Schnee zugedeckt werden, alles zum Erliegen bringen und still werden lassen. UND ich wollte Polarlichter sehen. Ich wollte nach Norwegen.
In meinem Kopf entwickelte sich die Idee diese Reise mit einem Schiff zu unternehmen. Ich hatte schon so viel über eine Schiffsreise mit Hurtigruten gelesen. Also begann ich zu recherchieren – schaute Dokumentationen und Reisegeschichten. Ich las Wetterberichte und studierte den Mondkalender (spielt eine wichtige Rolle, wenn man Nordlichter sehen möchte). Nachdem ich eine wirklich spannende 2 teilige Dokumentation über die „schönste Seereise der Welt“ gesehen hatte, war meine Entscheidung gefallen und so buchte ich eine Kabine auf einem der Hurtigrutenschiffe für eine klassische Postschiffreise, wie es sie in Norwegen seit 1893 gibt.
Norwegen erstreckt sich über rund 2650 km in der Nord-Süd-Richtung. Der relativ milde Süden des Landes dominierte die Wirtschaftskraft. In den nördlichen Gebieten wie den Lofoten, den Vesteralen und der Barentsee, die vom Fischfang lebten, fehlten seit jeher passende Transportwege für den anlandenden Fisch, aber auch für die Grundversorgung. Vor allem in den langen Wintern war der Norden oft monatelang von der Außenwelt abgeschnitten. Der Staat erkannte das und schuf eine staatlich geförderte Schiffsverbindung – die Hurtigruten (Hurtigruta = die schnelle Route). Heute setzt Hurtigruten bereits einige Schiffe mit Hybridtechnologie ein, um der Welt zu zeigen, dass Hybridantriebe bei großen Schiffen und somit ein reduzierter Kraftstoffverbrauch möglich sind. Viele Norweger:innen nutzen die Hurtigrutenlinie als Transportmittel und fahren so von Hafen zu Hafen.
Jeden Tag startet in Bergen ein (Fähr)Schiff gen Norden und ist nach 12 Tagen zurück in Bergen. Dazwischen stehen 34 Häfen auf dem Fahrplan. Nach der nordgehenden Route wird an der russischen Grenze gewendet und es geht wieder südwärts. Mindestens einmal am Tag legt das Schiff in einem der Häfen länger an und man hat Zeit die Stadt zu erkunden oder Ausflüge zu machen. Auf der gesamten Reise werden Höhepunkte passiert, die mit Sicherheit jeder Reisende für sich selbst als besonders definiert. Ich wünschte mir für mich das komplette Programm. UND ich wollte nicht „einfach“ nur nach Bergen fliegen, sondern wenn ich schon entlang der norwegischen Küste unterwegs sein würde, auch die Gelegenheit nutzen zu können im Süden Norwegens zu starten.
Meine Heimatstadt Hamburg ist für eine alternative Anreise der perfekte Ausgangspunkt um eben den Süden Norwegens direkt anzusteuern. Von Kiel aus startet im Winter jeden zweiten Tag eine Fährverbindung nach Oslo. Nach einer kurzen Zuganreise bis Kiel, bestieg ich also die riesige Fähre nach Oslo. Viele hatten mich im Vorfeld darauf eingeschworen, dass ich bei der Fährfahrt unbedingt um 6 Uhr an Deck sein solle um die Einfahrt in den Oslofjord nicht zu verpassen. Natürlich war ich um 6 Uhr an Deck, das Schiff begann auch pünktlich die Einfahrt in den Oslofjord. Allerdings hatte keiner meiner vorherigen Gesprächspartner:innen diese Fährfahrt im Winter gemacht – es war dunkel – stockdunkel und ich sah genau: NICHTS. Ein Frühstück später stehe ich also wieder draußen an Deck und ich beginne zu verstehen was ich Großes vor mir habe. Die wunderschöne Fahrt durch den Oslofjord dauert etwa 4 Stunden. Das Fährschiff ist riesig – unzählige LKWs befinden sich im Bauch dieses Schiffes – ich glaube etwa 2800 Menschen finden Platz bei einer Fahrt – 2790 tun mir den Gefallen und bleiben drinnen. Auf dem Deck ist es still. Ich staune. Dieses Licht. Es ist nimmt mich in seinen Bann.
Oslo lerne ich in den folgenden Tagen als eine spannende und moderne Metropole kennen, für die 2 Tage natürlich nicht reichen. Ich muss unbedingt wiederkommen und wenn es nur für einen Saunabesuch bei Mad Goats auf dem Oslo Fjord ist.
Aber was danach kommt ist spektakulär und berührt mein Herz auf besondere Weise. Ich fahre mit der legendären Bergenbahn von Oslo nach Bergen. Die Zugfahrt dauert ca. 7 Stunden. Bevor wir starten, bereite ich mich auf die (für mich lang erscheinende) Zugfahrt vor. 7 Stunden. Sieben Stunden. Ich – die es kaum schafft 2 Stunden still zu sitzen! Bücher, Zeitschriften, Musik – ich Unruhegeist muss mich beschäftigen. Und dann passiert es… keine Stunde hinter Oslo sehe ich den ersten Schnee. Erst nur auf freien, geschützten Flächen, dann auch auf den Bäumen. Es vergehen weitere 30 Minuten und wir fahren durch ein Winterwonderland, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Vorbei an zugefrorenen Fjorden, eingerahmt von Felsen, über die die Sonne lugt und den Schnee glitzern lässt. Dazwischen Tunnel um Tunnel und wenn unser Zug einen derer verlassen hat, eröffnet sich ein neuer spektakulärer Blick. Mein Buch habe ich lange zugeklappt, die Musik in meinen Ohren ausgemacht. Ich sauge alles in mich auf. Mein Kopf wird still – ich bin bei mir. Wir durchfahren die Hardangervidda – eine Hochebene von über 9000 qkm, die höchste Europas. Umso höher wir kommen, desto unwirklicher wird die Landschaft. An den Bahnhöfen stehen große Schneefahrzeuge, die mir klarmachen, was Winter hier oben bedeutet. Während ich mir meine Nase platt drücke an der Zugfensterscheibe, wird es dunkel draußen auf unserem Weg Richtung Küste, nach Bergen.
Während der nächsten Tage in Bergen, frage ich mich immer wieder, wie dieses Erlebnis noch getoppt werden kann. Und ich weiß ja, dass es so sein wird – ich habe meine Reiseroute lang genug studiert und vorbereitet um zu wissen, was mich noch erwartet…
Bergen ist die zweitgrößte Stadt Norwegens und die Stadt in der es europaweit am meisten regnet. (Ja! Es ist nicht Hamburg!) Auf den letzten Kilometern hinab ans Meer haben wir den Schnee zurückgelassen und es regnet bei meiner Ankunft in Bergen. Natürlich.
Es ist der Vorabend meines 45. Geburstages.
Ich verbringe diesen Geburtstag in allerbester Laune – allein mit mir.
Wie oft bin ich angesprochen worden, wie traurig das doch ist, dass ich allein unterwegs sein werde. Die klassischen Kommentare sind: „Ich würd mich das nicht trauen.“, „Das ist doch langweilig allein.“ „Als Frau allein, ist das nicht gefährlich?“ Ich bin diese Fragen gewohnt. Sie werden mir immer wieder gestellt, wenn ich von meinen Reisen und Wanderungen erzähle - im Bekanntenkreis und auf Vorträgen. Lasst mich sagen: Ich kann mich ganz gut leiden und verbringe gerne Zeit mit mir. Ich halte mich sehr gut aus. Und ja – das war nicht immer so. Die Gesellschaft hat uns lange vorgegeben und gibt uns noch immer in Teilen vor, nur vollständig zu sein, wenn man in einer "geordneten" Partnerschaft lebt. Nicht genormte Lebensmodelle haben es weiterhin schwer gesellschaftliche Anerkennung zu finden. Alleinstehende Frauen werden häufig mitleidig angeschaut, als wären sie gescheitert im Leben. Frauen rechtfertigen sich noch immer zuweilen, wenn sie sich bewusst dagegen entscheiden Kinder zu bekommen.
Nach meiner langjährigen Ehe habe ich einige Jahre gebraucht auch mit mir allein Ruhe zu finden (lest dazu auch gern meinen Blogartikel “Wer bin ich eigentlich?") und Reisen wie diese unterstützen diesen Prozess noch immer. Allein zu reisen, heißt für mich auch mich selbst besser kennenzulernen, weil ich nicht abgelenkt und unterhalten werde und somit Zeit habe, mich mit mir auseinanderzusetzen.
Ich bin sehr glücklich an meinem Geburtstag. Alle die ich sehr liebe sind bei mir - in Gedanken, am Telefon, per Nachricht… Ich werde vermisst, ich werde geliebt.
Eigentlich hatte ich meine Reiseroute so geplant, dass ich an meinem Geburtstag das Schiff MS Lofoten besteige und meine Route noch am gleichen Tag startet. Aber zwischen Trondheim und Bergen tobte ein Sturm in den vergangenen Tagen, so dass die MS Lofoten nicht zurück nach Bergen fahren konnte. So verbringe ich den Abend in einem Flughafenhotel bei Aperol Spritz und Geburtstagsdinner und fliege am nächsten Morgen nach Trondheim, wo im Hafen die MS Lofoten liegt. Dort gehe ich an Bord dieser alten Lady.
Ein immer wiederkehrendes Thema im Vorfeld meiner Reise war die Tischordnung an Bord. Das Abendessen auf dem Schiff wird als 4 Gängemenü (keine Sorge, kein Dresscode!) serviert und man hat einen festen Tisch für die komplette Seereise. „Was ist, wenn du schreckliche Tischnachbarn hast?“ Meine Antwort darauf lautete: „Dann werde ich das nicht über mich ergehen lassen, ich werde für mich sorgen und würde darum bitten an einen anderen Tisch gesetzt zu werden.“ Aber das muss ich nicht! Schon beim ersten Betreten des Schiffes bemerke ich, dass ich einen der schönsten Tische abbekommen habe – nämlich direkt am Fenster und mit einer Bank. Ich liebe Tische mit Bänken. Bald darauf treffe ich meine Tischgefährten. Einer von Ihnen ist Felix. Felix – der Name bedeutet „der Glück erfahrende“. Für mich müsste es heißen „Felix- der Glück bringende“! Wir verstehen uns von der ersten Sekunde an und erleben von nun an unsere Reiseabenteuer gemeinsam, ohne gemeinsam zu reisen. Wir lassen einander Raum und sind dennoch viel zusammen. Während unsere Mitreisenden gerne die Aufenthalte in den Häfen für geführte Ausflüge nutzen, gehen Felix und ich auf eigene Faust los und erleben so schöne Momente, dass wir es abends immer gar nicht glauben können, dass uns das passiert ist.
Währenddessen zieht die Landschaft an uns vorbei. Felix und ich sind viel an Deck. Es zieht uns magisch nach draußen, als hätten wir Angst etwas verpassen zu können. Und plötzlich verstehe ich, dass ich sehrwohl „stillsitzen“ kann. So verbinde ich bis heute den Erkenntnisgewinn, dass ich z.B. lange Zugfahrten gar nicht problematisch finde – ganz im Gegenteil, mit meiner Reise zu den Nordlichtern.
Weit über dem nördlichen Polarkreis - die Landschaft besteht schon seit Tagen nur noch aus riesigen weißen Felsen, salziger See und sich minütlich änderndem spektakulären Licht - erfahren wir, dass wir die russische Grenze und das Nordkap nicht erreichen werden. In der Barentsee toben erneut wilde Stürme, die See ist ruff.
Die MS Lofoten ist zu diesem Zeitpunkt das älteste der Hurtigrutenschiffe im Linienbetrieb. Sie wurde 1964 gebaut und ging am Ende des Jahres 2020 in ihren wohlverdienten Ruhestand. Sie entsprach nicht mehr den heutigen Anforderungen wie z.B. Barrierefreiheit und sie hat auch keine Stabilisatoren wie moderne Schiffe dieser Größenordnung sie inzwischen haben. Dies kommt nun hier an diesem Punkt der Reise zum tragen.
Unser Kapitän Tor Amundsen ist ein sehr erfahrener Käpt`n. Ich glaube fest daran, dass er verantwortungsvolle Entscheidungen trifft. Felix und ich berappeln uns schnell und versuchen während der Einfahrt in den Fjord nach Alta, die Stadt die wir nun stattdessen ansteuern, online auszuchecken. Wir erfassen sofort, dass es ein Glücksfall sein wird nach Alta zu fahren. Alta liegt in der Finnmark und gehört zu den nördlichsten Provinzen Norwegens. In Alta geht Norwegens König Lachse angeln und ist zudem bekannt für seine Nordlichtaktivität.
Der Wunsch Nordlichter zu sehen, hatte sich im Laufe der Vorbereitungen zum wichtigsten Punkt auf meiner Bucketlist für meine Norwegenreise entwickelt. Im Vorfeld hatte ich viel darüber gelesen, wie sie entstehen, was man ihnen nachsagt, von wie vielen Faktoren es abhängig ist sie überhaupt sehen zu können. Sogar dem Hamburger Planetarium stattete ich zur Vorbereitung einen Besuch ab, um während eines Votrages noch mehr über ihre Entstehung und Vorkommen zu erfahren. Je länger ich mich mit der Thematik bei meinen Vorbereitungen beschäftigte, desto stärker wurde mein Wunsch sie wirklich erleben zu können. Ich nahm mir vor, mich nicht zu sehr darauf zu versteifen, um nicht so furchtbar enttäuscht zu sein, wenn sich dieser Wunsch nicht erfüllen sollte. Was für ein Balanceakt für mich.
Inzwischen war ich bestens vorbereitet auf mein Nordlichtabenteuer – von warmer Wollkleidung über fellgefütterte Wanderschuhe, hin zu einer extra Belichtungsapp, Alarmapp für das wahrscheinliche Auftreten von Nordlichtern und Stativ fürs Smartphone. Ich hatte ALLE Legenden gelesen. Bis heute gefällt mir am besten die von den Polarfüchsen, welche wild durch die nördlichen Gefilde spielen und mit ihren Schweifen die Berge berühren. Die dabei entstehenden Funken am Himmel werden dann zu Nordlichtern. Das ist eine von den schönen und positiven Legenden. Viele andere sind düster und von finsterer Magie gezeichnet. Aurora Borealis – so heißt das Phänomen, welches wissenschaftlich erklärbar ist und unwirklich in unterschiedlichen Farben leuchtet. Von grün bis lila, blau und rosarot. Aurora tanzt am nächtlichen Himmel und verzaubert vermutlich jeden, der sie zu sehen bekommen würde.
Bereits auf der nordgehenden Tour war die wachsende Aufregung aller Reisenden, die mit ähnlicher Intention zu dieser Reise aufgebrochen waren, deutlich spürbar. Ich versuchte mich darin locker zu sein, mich nicht zu sehr von der Aufregung anstecken zu lassen in dem Wunsch die anderen kleinen „Wunder“ dieser Reise nicht zu verpassen.
Der zweite große Wunsch auf meiner Norwegen-Bucketlist war es, mir den Traum von einer Huskyschlittenfahrt zu erfüllen. Natürlich hatte ich gecheckt, ob es ethisch vertretbar ist, mich von Hunden durch den norwegischen Schnee ziehen zu lassen. Bereits Wochen zuvor bekam ich schon beim Gedanken an die bevorstehende Schlittentour einen riesigen Kloß im Hals. Im Herzen der Finnmark, nicht weit von Alta entfernt liegt die Holmen Husky Lodge. Es ist ein ungemütlicher Morgen als wir am Schiff dorthin aufbrechen. Der Wind ist eisig. Mir macht das nichts – ich bin so unglaublich aufgeregt an diesem Tag, so dass ich bei unserer Ankunft meine Freude nicht mehr verstecken kann. Auch die Hunde sind voller Erwartung, sie sind laut, wissen um das Bevorstehen einer Runde Austoben. Ich gehe jedoch nicht direkt zu den vorbereiteten Schlitten, ich möchte erstmal die Hunde kennenlernen. Es dauert keine 5 Minuten und ich finde mich kniend, fast in den Hütten der Hunde, kuschelnd und mit feuchten Nasen in meinem Gesicht wieder. Ich lerne Darth und Vader kennenlernen. Sie sind Wheeldogs – die stärksten Hunde des Teams. Sie werden später mit 6 weiteren Huskys Felix und meinen Schlitten durch die tiefverschneite Finnmark ziehen.
Das Jaulen der Hunde vor dem Start ist ohrenbetäubend, als würden sie jammern „Wann geht es endlich los?“ Und dann starten sie, befördern den Schlitten in die Spur und ganz plötzlich ist nur noch das Hecheln der Huskys zu hören, das Knarzen des Schnees unter den Kufen, ab und zu ein Kommando des Mushers und gelegentlich mein Schlucken in dem ewigen Versuch an diesem Tag meinen Kloß im Hals hinunter zu schlucken.
Bis heute kann ich die tiefe Gerührtheit, die ich an diesem Tag erlebe nicht in Worte fassen.
Diesen Text hier habe ich schon oft „angefasst“. Die erste Version ist direkt im Anschluss an die Reise entstanden, weil er als Gastbeitrag auf einem fremden Blog landen sollte. Zeitgleich begann weltweit die Coronapandemie und niemanden interessierten Reisethemen. So landete der Text in der Schublade, jedoch war für mich immer klar, dass wenn ich jemals einen eigenen Blog haben sollte, er einer meiner ersten Blogartikel werden sollte. Eines ist geblieben. Wann immer ich diesen Artikel „angefasst“ habe, fange ich an vor Rührung zu weinen und ich glaube es ist ein Zusammenspiel aus verschiedenen Dingen: Mein Leben ist so großartig, ich bin gesund, meine „kleinste Familie der Welt“ ist es auch. Ich fühle mich in meiner Partnerschaft geliebt. Wenn ich auf Reisen bin, fehle ich daheim. Man begegnet mir in meinem Leben mit Respekt. Ich bin mutig, ich erfahre Liebe, ich lebe sicher in meiner Heimat, in der ich ein Zuhause habe. Aber eine Sache empfinde ich auf dieser Reise als besonders wertvoll für mich ganz allein. Die Menschen, die ich treffe, begegnen mir mit Offenheit und Unvoreingenommenheit – ich bin nicht die Arbeits-Antje oder die Nachbar-Antje oder, oder, oder… Ich bin Antje – ich! Ich lache, ich strahle, ich bin laut, hab Geschichten zu erzählen, ich frage, ich bin leise (selten), ich weine, ich fühle mit, ich bin herzlich. Und ich fühle mich so leicht dabei – uneingeschränkt ICH sein zu können. Am Ende meiner Reise werde ich verabschiedet werden von einer kleinen Gruppe Menschen, die ich kennenlernen durfte. Sie haben ein kleines gemütliches Treffen organisiert dafür. Es gibt Wein aus Wassergläsern und Bier aus Dosen auf der Kabine eines Paares. Sie haben ein Abschiedsgeschenk vorbereitet für mich – und eine Karte, auf die sie geschrieben haben: „Bleib, wie du bist!“ und ich finde (auch wenn es vielleicht im ersten Moment so belanglos und abgedroschen klingen mag) dass es eine der wunderbarsten Botschaften ist, die Menschen dir (mir) vermitteln können. In meinen Augen macht sie absolut deutlich, dass die Menschen, die dir das sagen, dich in diesem Moment komplett richtig finden, so wie du bist. Dass du genug bist, so wie du bist. Und ja – vielleicht berührt es mich deshalb so sehr, weil ich das selbst oft genug nicht glaube – genug zu sein. Ich übe.
Felix ist sich an diesem Tag sicher, dass wir heute, an diesem eigentlich „untopbaren“ Tag Nordlichter sehen. Die Voraussetzungen sind gut, es wird ein paar klare Abschnitte am Abend und in der Nacht geben, wir haben Neumond und die energetische Strahlung der Pole ist auch gegeben. Die Nordlichtapp sagt: Nordlichter voraus. Aber das hat sie in den letzten Tagen öfter gesagt. Felix jedoch ist überzeugt, dass es heute passieren wird – er verspricht es mir sogar. Und er behält recht. Die Finnmark ist mein Glücksort. Hier sehe ich das Nordlicht. An der Kaimauer stehend blicke ich in den Nachthimmel und kann beobachten wie es sich aufbaut. In grünen Streifen legt es sich über den klaren Sternenhimmel und fängt langsam an zu tanzen. Wie ein Vorhang aus Licht fällt das magische Grün herab und formt am Ende seines Auftretens einen lilafarbenen Rand. Das lässt sich physikalisch erklären – hab ich aber schon wieder vergessen. Es spielt keine Rolle für mich in diesem Moment. Ich möchte es sehen, muss es nicht fotografieren – das hatte ich mir vorgenommen vorab. Es würde mir reichen es einmal wirklich zu sehen um sich einzubrennen in meinem Kopf, in meiner Erinnerung. Aber ich will es festhalten, ich möchte es mitnehmen können. Ich möchte es zeigen können. Und so schaffe ich es doch ein paar „Festhaltmomente“ in meinem Cameraroll zu sichern. So schnell wie es sich aufgebaut hat, ist es wieder verschwunden. Aber es war da. Ich habe es gesehen. Und ja – seine grüne Magie hat mich erfasst, ich bin verzaubert.
So kann ich beruhigt meine südgehende Tour starten. Meine beiden größten Wünsche für diese Reise haben sich erfüllt. Wieviel mehr sich verändern wird, welche anderen Wünsche sich erfüllt haben auf dieser Reise, unausgesprochene, vielleicht auch unbewusste oder ungeformte, werde ich erst später erfassen können. Diese Reise hat mich verändert. Sie hat meine Sicht auf mich selbst verändert.
Zuerst steuern wir Hammerfest an - „Die nördlichste Stadt der Welt… Es ist arktisch. Eine Vegetation ist praktisch nicht sichtbar, der Wind ist eisig, der Schnee wird über die Berge gefegt. Das Licht dieser Stadt ist unwirklich und dennoch ist alles hier irgendwie „warm“. Viele Bürgersteige der Stadt sind beheizt. Beheizte Bürgersteige! Habt ihr das schon mal erlebt? Ich nicht. Der Schnee im Park liegt so hoch, dass wir die Sitzflächen der Parkbänke kaum erkennen können. Felix hat von einem Eisbärenclub gehört und möchte unbedingt Club-Mitglied werden. Es ist eine Art Museum, welches über das Leben im hohen Norden, in der Arktis informiert. Dazu gehört die Schifffahrt genauso wie die arktische Fauna. Alle Tiere, von denen ich bisher nur Bilder gesehen habe, kann man dort bestaunen. Wie unfassbar mächtig Eisbären sind… Durch die Mitgliedschaft (einmalig 22€, Stand 01/2020) unterstützt Felix nun diese Einrichtung und ist dafür jährlich eingeladen zur Mitgliederversammlung nach Hammerfest zu kommen. Am 3. Sonntag eines jeden Jahres findet die statt. Ob Felix das schaffen wird in den kommenden Jahren als regelmäßiges Mitglied der Versammlung anzureisen? Und selbst wenn nicht – er ist happy an diesem Abend.
Die südgehende Route ist davon geprägt, dass wir Landschaften sehen, die wir auf der nordgehenden Tour in der Nacht passiert haben und so verbringe ich viel Zeit mit „gucken“.
DAS Nordlicht, das ich gesucht hab, gibt es gar nicht. Ich habe auf dieser Reise so viele verschiedene Lichter gesehen, konnte beobachten, wieviel Kraft die Sonne hat, auch wenn sie nicht „aufgeht. Das Polarlicht - Aurora Borealis, ja das hab ich in seiner Einzigartigkeit gesehen und dennoch weiß ich, dass auch das jedes mal anders erscheint. All das muss ich setzen lassen.
Und ich muss mich auf den bevorstehenden Abschied vorbereiten. Abschiede liegen mir nicht. Noch nie. Manchmal lasse ich der Trauer darüber, dass ich Abschied nehmen muss so viel Platz, dass ich mir die verbleibende Zeit bis zum tatsächlichen Abschied verderbe.
Das Ende meiner Reise auf der MS Lofoten kommt jedoch plötzlicher als gedacht. Auf der offenen See vor Trondheim tobt mal wieder ein Sturm. Ursprünglich hatte ich geplant in Trondheim von Bord zu gehen, in der Annahme in Bergen meine Schiffsreise zu starten. Mein Flug nach Hause von dort ist gebucht, so dass ich der Routenänderung folgen muss. Unser Schiff wird Trondheim nicht ansteuern können. Alles passiert ziemlich schnell. Ich erfahre gegen 22:00 Uhr, dass ich bereits um 3:30 Uhr des nächsten Morgens von Bord gehen werde und so schaffe ich es gar nicht mich von allen zu verabschieden. Einige schlafen schon. Felix und ich umarmen uns überrumpelt von diesem schnellen Ende im Flur des Schiffes und ich packe meinen Koffer. Als ich am frühen Morgen das Schiff verlasse, steht die „Ruhrpottclique“ der ich begegnet bin, in Schlafanzug an der Gangway und verabschiedet mich. Dafür werde ich sie auf immer in meinem Herzen behalten. Mit dem Bus fahre ich nun einige Stunden über Land nach Trondheim und verbringe dort einen letzten Tag, bevor am Abend mein Flug zurück nach Hamburg geht.
Diese letzten Stunden allein mit mir fühlen sich irgendwie leer an und dennoch brauche ich sie, um loslassen zu können von den letzten Tagen. Mich zu verabschieden von meiner Reise. Und auch ein Stück weit von meinem alten Ich. Diese stille und dennoch so erfüllte Reise hat mich unfassbar viel erfahren lassen darüber wie ich wahrgenommen werden möchte.
Zuhause warten zwei Menschen auf mich, die mich lieben. Bei ihnen fühle ich mich leicht. Mit ihnen bin ich glücklich. Diese Beiden lassen mir den Raum zu sein, wer ich bin. Nichts ist mir wichtiger in meinem Leben als das.
Ein toller Bericht. Er berührt sofort mein Herz. Wir sind letztes Jahr mit dem Womo über 3000 km durch Norwegen gereist und uns hat diese beeindruckende Natur sofort begeistert